Dass die Familie das Kernstück bildet, "auf dem der Staat, das Volk oder auch das Menschsein insgesamt beruhen" (O. Parnes, U. Vedder, S. Willer: Das Konzept der Generation. Eine Wissenschafts- und Kulturgeschichte, Frankfurt am Main 2008, S. 150), ist ein allgemein anerkannter Gedanken aus der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Auch wenn man heute von der Umstrukturierung des traditionellen Familienbildes spricht und über neue, bereits praktizierte Formen des sozialen Zusammenlebens und der biologischen Reproduktion diskutiert wird, bleibt die klassische Familienstruktur bevorzugter Schauplatz für historische, politische, wirtschaftliche oder trivia-lpopuläre Auseinandersetzung mit unserer Gesellschaft. In Fernsehen ist das Stichwort Familie omnipräsent: In den meisten der so beliebten Soap-Operas wird der narrative Kern um die Geschichte einer Familie, ihre mythisierten Erfolge oder Misserfolge konstruiert und dabei bietet der Schauplatz Familie genug Raum für Intrigen, Eifersüchteleien, Geheimnisse, Machtkämpfe, Gier etc. Schon gar nicht verschont uns die Klatschpresse vor den Geheimnissen und oft intimsten Hintergründen bekannter Familien. Auch die Politik wird ständig mit der Bedeutung der Familie in unserer Gesellschaft konfrontiert. Sei es, dass es um Erbschaftssteuer, Kindergartenplätze, Eltern- und Kindergeld oder Rente geht. In der Wirtschaft spielt die Familie in Form von Familienunternehmen eine entscheidende Rolle, in diesem wie in den vergangenen zwei Jahrhunderten. Glaubt man aber dem Historiker David Landes, dessen Buch "Die Macht der Familie. Wirtschaftsdynastien in der Weltgeschichte" (München 2008) mich zum Titel meines Vortrags inspiriert hat, ignoriert allerdings der derzeitige Hauptstrom der Wirtschaftswissenschaft die familiär strukturierten Unternehmen als Gegenstand seriöser Forschung. Und wenn man sich doch mit dem Modell Familienunternehmen beschäftigt, wird das Modell als überholtes und bedeutungsloses Relikt abgetan (Langes, S. 16 f.). Vor allem scheint eine allgemeine Skepsis über die Zukunftsfähigkeit der Familienunternehmen zu herrschen. Sei es, dass Familienunternehmen unter dem „Buddenbrook-Syndrom“ leiden, d.h. sie gehen nicht über die dritte Generation hinaus, oder unter dem „Prince-Charles-Syndrom“, d.h. sie können die Nachfolge nicht regeln, nicht selten entscheidet der Generationswechsel über Erfolg oder Untergang eines Familienunternehmens. Doch gerade die Interaktion von wirtschaftlichen Faktoren und familiären Beziehungen, die Interaktion von Recht und Natur, auf die Familienunternehmen ihre Macht gründen, birgt eine ungebrochene Faszination in sich, die die deutschen Verlage und Autoren längst für sich entdeckt haben. Richtet man den Blick auf die fiktionale Literatur, ist zunächst festzustellen, dass in zeitgenössischen Romanen die ökonomische Relevanz von Familienunternehmen wenig Beachtung zu finden scheint, da der Fokus vielmehr auf die Bearbeitung der deutschen Vergangenheit gerichtet wird. Nichtsdestotrotz spielen ökonomische Diskurse auch in jenen Familienromanen, in denen die geschilderten Familien kein Unternehmen besitzten, eine bedeutende Rolle. Die ökonomische Relevanz in familiären Diskursen wird hier im Sinne von Erbschaft, versorgerischen Ansprüchen, Vermächtnis oder Schenkungen thematisiert.Man könnte sicherlich viele Beispiele für ökonomische Verquickungen in zeitgenössischen Familienromanen finden. Aufgrund der Bedeutung von Familienunternehmen in unserem kapitalistischen System und da dieses Modell scheinbar wenig Beachtung in der wissenschaftlichen Literatur findet, wird aber im Artikel eine Selektion von Romanen präsentiert, die sich in die Serie der klassischen Form von Familiensagas à la Buddenbrooks einreihen. Wohlgemerkt eine kleine Selektion, da Dynastien, d.h. Familien, die gleichzeitig eine ökonomische Macht darstellen, auch in der fiktionalen Literatur wenig Interesse zu genießen scheinen.

Die Macht der Familie. Ökonomische Diskurse in Familienromanen

CHILESE, Viviana
2010

Abstract

Dass die Familie das Kernstück bildet, "auf dem der Staat, das Volk oder auch das Menschsein insgesamt beruhen" (O. Parnes, U. Vedder, S. Willer: Das Konzept der Generation. Eine Wissenschafts- und Kulturgeschichte, Frankfurt am Main 2008, S. 150), ist ein allgemein anerkannter Gedanken aus der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Auch wenn man heute von der Umstrukturierung des traditionellen Familienbildes spricht und über neue, bereits praktizierte Formen des sozialen Zusammenlebens und der biologischen Reproduktion diskutiert wird, bleibt die klassische Familienstruktur bevorzugter Schauplatz für historische, politische, wirtschaftliche oder trivia-lpopuläre Auseinandersetzung mit unserer Gesellschaft. In Fernsehen ist das Stichwort Familie omnipräsent: In den meisten der so beliebten Soap-Operas wird der narrative Kern um die Geschichte einer Familie, ihre mythisierten Erfolge oder Misserfolge konstruiert und dabei bietet der Schauplatz Familie genug Raum für Intrigen, Eifersüchteleien, Geheimnisse, Machtkämpfe, Gier etc. Schon gar nicht verschont uns die Klatschpresse vor den Geheimnissen und oft intimsten Hintergründen bekannter Familien. Auch die Politik wird ständig mit der Bedeutung der Familie in unserer Gesellschaft konfrontiert. Sei es, dass es um Erbschaftssteuer, Kindergartenplätze, Eltern- und Kindergeld oder Rente geht. In der Wirtschaft spielt die Familie in Form von Familienunternehmen eine entscheidende Rolle, in diesem wie in den vergangenen zwei Jahrhunderten. Glaubt man aber dem Historiker David Landes, dessen Buch "Die Macht der Familie. Wirtschaftsdynastien in der Weltgeschichte" (München 2008) mich zum Titel meines Vortrags inspiriert hat, ignoriert allerdings der derzeitige Hauptstrom der Wirtschaftswissenschaft die familiär strukturierten Unternehmen als Gegenstand seriöser Forschung. Und wenn man sich doch mit dem Modell Familienunternehmen beschäftigt, wird das Modell als überholtes und bedeutungsloses Relikt abgetan (Langes, S. 16 f.). Vor allem scheint eine allgemeine Skepsis über die Zukunftsfähigkeit der Familienunternehmen zu herrschen. Sei es, dass Familienunternehmen unter dem „Buddenbrook-Syndrom“ leiden, d.h. sie gehen nicht über die dritte Generation hinaus, oder unter dem „Prince-Charles-Syndrom“, d.h. sie können die Nachfolge nicht regeln, nicht selten entscheidet der Generationswechsel über Erfolg oder Untergang eines Familienunternehmens. Doch gerade die Interaktion von wirtschaftlichen Faktoren und familiären Beziehungen, die Interaktion von Recht und Natur, auf die Familienunternehmen ihre Macht gründen, birgt eine ungebrochene Faszination in sich, die die deutschen Verlage und Autoren längst für sich entdeckt haben. Richtet man den Blick auf die fiktionale Literatur, ist zunächst festzustellen, dass in zeitgenössischen Romanen die ökonomische Relevanz von Familienunternehmen wenig Beachtung zu finden scheint, da der Fokus vielmehr auf die Bearbeitung der deutschen Vergangenheit gerichtet wird. Nichtsdestotrotz spielen ökonomische Diskurse auch in jenen Familienromanen, in denen die geschilderten Familien kein Unternehmen besitzten, eine bedeutende Rolle. Die ökonomische Relevanz in familiären Diskursen wird hier im Sinne von Erbschaft, versorgerischen Ansprüchen, Vermächtnis oder Schenkungen thematisiert.Man könnte sicherlich viele Beispiele für ökonomische Verquickungen in zeitgenössischen Familienromanen finden. Aufgrund der Bedeutung von Familienunternehmen in unserem kapitalistischen System und da dieses Modell scheinbar wenig Beachtung in der wissenschaftlichen Literatur findet, wird aber im Artikel eine Selektion von Romanen präsentiert, die sich in die Serie der klassischen Form von Familiensagas à la Buddenbrooks einreihen. Wohlgemerkt eine kleine Selektion, da Dynastien, d.h. Familien, die gleichzeitig eine ökonomische Macht darstellen, auch in der fiktionalen Literatur wenig Interesse zu genießen scheinen.
2010
9783770550029
Letteratura tedesca; romanzo familiare; impresa familiare; saga familiare; economia; VEB
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