Trotz der Krise, die sie quält, leistet aber die italienische Strafprozessordnung einen sehr interessanten Beitrag zu der Erklärung des Wortpaares Fairness/Effizienz, besonders weil darin die Hauptarten der auf Konsens basierenden Strafjustiz beieinander leben: Die Traditionellere, die das Ziel verfolgt, das Rechtssystem effizienter zu gestalten, indem dem Angeklagten Vorteile versprochen werden, und die Neuere, die den alternativen Weg der Versöhnung begünstigt. Eine dritte Richtung macht zwischen diesen beiden die ersten vorsichtigen Schritte: Nämlich der Verzicht auf Strafverfolgung wegen Geringfügigkeit der Tat. Wählen wir den wesentlichen Standpunkt des Beweises, erteilt Art. 111 der italienischen Verfassung dem Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens bei der Beweisaufnahme eine allgemeine erkenntnistheoretische Schutzfunktion und der Einwilligung des Angeklagten die Funktion, entsprechende Ausnahmen zu rechtfertigen. Beim Versuch, die ursprüngliche Neigung der Strafprozessordnung für die dialektische Gegenüberstellung von Anklage und Verteidigung wiederherzustellen und zu verstärken, bemüht sich die Vorschrift zugleich, die Rechtmäßigkeit von zur Hauptverhandlung alternativen Verfahrensarten nicht auszuschließen. Die Aufmerksamkeit der italienischen Gesetzgeber hat sich auf die besonderen Verfahrensarten mit belohnendem Charakter konzentriert, bei denen das Einverständnis des Angeklagten einen mehr oder weniger umfassenden Beweisverzicht mit seinen zahlreichen Aspekten zur Folge hat, der von der Rechtsordnung mit Strafnachlass belohnt wird. Wegen der Grundsätzen der Unschuldvermutung und der unantastbarkeit der persönlichen Freiheit, dürfte aber für die Verurteilung der Prozeß und mit ihm die Formen, in denen Beweise erhoben, unabdingbar bleiben. Um nicht der feierlichen Grundsatzerklärung zugunsten der Hauptverhandlung jeglichen Sinn abzusprechen, sollte außerdem das Einverständnis mit der Würdigung von Beweisen, die außerhalb der Hauptverhandlung erhoben wurden, auf jeden Fall von der Partei vorliegen, die ein Interesse daran hat, deren Inhalt zu widerlegen, damit belegt werden kann, daß eine weitere Überprüfung durch die effizientere dialektische Methode das Ergebnis nicht grundsätzlich ändern würde. Die wichtigsten von der Strafprozessordnung geregelten konsensualen Verfahrensarten sind: 1) Strafzumessung auf Antrag der Parteien (das sogenannte „patteggiamento“) und 2) das abgekürzte Verfahren (giudizio abbreviato). 1) Mit dem „patteggiamento“ unterbreiten Staatsanwaltschaft und Angeklagter dem Gericht eine Vereinbarung über das konkrete Strafmaß (bei Freiheitsstrafen nur bis zu zwei Jahren). Sie basiert auf einer Berechnung, die eine Strafminderung von bis zu einem Drittel enthält und stellt damit einen echten Urteilsvorschlag dar. Die Wahl dieses Verfahrens bringt nicht nur einen Verzicht auf das Recht auf eine Beweisaufnahme durch die am besten garantierte und wirksame Form der kontradiktorischen Hauptverhandlung mit sich, sondern stellt sogar Tatsachen und Rechte in Frage, die Gegenstand der Anklage sind. Der italienischen Verfassungsgerichtshof entschied nämlich, daß der Richter seine Überzeugung aufgrund der Ermittlungsakten aus der Zeit vor der Vereinbarung bildet und die Entscheidung auch hinsichtlich der strafrechtlichen Verantwortung des Angeklagten begründet, anstatt den zum Ausdruck gebrachten Willen der Parteien einfach zur Kenntnis zu nehmen. 2) Die wiederholten Mahnungen des Verfassungsgerichtshofs führten im Jahre 1999 zu einer Reform des abgekürzten Verfahren, die zum einen die Gestalt des Urteils "nach Lage der Akten" veränderte und zum andern die zuvor erforderliche Zustimmung der Staatsanwaltschaft beseitigte. Die Wahl des Verfahrens wird daher zu einem regelrechten Recht des Angeklagten, ohne daß irgendeine Einflußmöglichkeit der Staatsanwaltschaft oder dem Richter, der die Fälle auswählt, die tatsächlich für einen vorzeitigen Abschluss und, insbesondere für den sich daraus ergebenen Strafnachlass (von einem Drittel) bei Verurteilung geeignet sind, übertragen wäre. Deshalb gibt es die Sicherheit einer Strafminderung, die um so größer ist, je höher die abstrakte Strafe ausfällt, da sie, als Gegenleistung für die Einwilligung darin, überwiegend anhand der Ermittlungsergebnisse beurteilt zu werden, proportional um ein Drittel gemindert wird, mit der Möglichkeit sich das keiner Einschränkung unterworfene Beweismaterial von Amts wegen, zunutze zu machen. Dank der neuen Gesetzgebung über den Friedensrichter, der außerhalb der Strafprozeßordnung plaziert ist, erprobt das italienische Strafrechtssystem einige Formen des vorzeitigen Verfahrensabschlusses, die die Rolle des Verbrechensopfers aufwerten. Diese Vorschriften versuchen, den anderen Weg der Versöhnung zwischen Täter und Tatopfer einzuschlagen, nämlich der Beilegung des Konfliktes bei leichteren Straftaten, die meist Ausdruck der Beziehungen zwischen Einzelpersonen sind. Auf diesem Gebiet findet man die folgende grundlegende Institute: 1) Ausschluss der strafrechtlichen Verfolgbarkeit bei besonders geringfügigen Taten; 2) Erlöschen der Straftat wegen Wiedergutmachung und 3) Die Mediation. 1) Voraussetzungen für die Nichtverfolgbarkeit ist eine Tat, die, obwohl sie den Straftatbestand verwirklicht, und konkret beeinträchtigend ist, dennoch unter dem Gesichtspunkt des von ihr verursachten Schadens oder der hervorgerufenen Gefahr, der Zufälligkeit des Verhaltens und dem Maß der Schuld des Täters ein geringes Niveau aufweist. Dem Richter obliegt ferner die außerhalb der Tat liegende Beurteilung des Schadens, den eine Weiterführung des Verfahrens im Bereich der Arbeit, der Schule, der Familie oder der Gesundheit des Angeklagten verursachen könnte. 2) Die Wiedergutmachung des durch die Straftat verursachten Schaden (was nach dem in der italienischen Strafprozeßordnung geregelten Verfahren lediglich zu einer Strafminderung führt) ist ein neuer Grund für ein Erlöschen der Straftat. Das freisprechende Urteil ist davon abhängig, ob der Richter die Wiedergutmachung als geeignet dafür ansieht, die erforderliche Missbilligung der Tat und die Prävention zu erfüllen. 3) Die Aufmerksamkeit, welche die gesamte Novelle der Lage des Tatopfers beimißt, zeigt sich am deutlichsten bei der Mediation, die jedoch ausschließlich bei Straftaten Anwendung findet, die auf Antrag verfolgt werden. Der Vermittlungsversuch ist obligatorisch und wird dem Friedensrichter überlassen, der sich nach seinem Ermessen der Hilfe öffentlicher oder privater lokaler Fachzentren. bedienen kann. Im Falle eines positiven Ausgangs nimmt der Verletzte den Strafantrag zurück.

Konsensuale und andere entformalisierte Verfahrensarten vor der Krise der italienischen Strafjustiz

NEGRI, Daniele
2005

Abstract

Trotz der Krise, die sie quält, leistet aber die italienische Strafprozessordnung einen sehr interessanten Beitrag zu der Erklärung des Wortpaares Fairness/Effizienz, besonders weil darin die Hauptarten der auf Konsens basierenden Strafjustiz beieinander leben: Die Traditionellere, die das Ziel verfolgt, das Rechtssystem effizienter zu gestalten, indem dem Angeklagten Vorteile versprochen werden, und die Neuere, die den alternativen Weg der Versöhnung begünstigt. Eine dritte Richtung macht zwischen diesen beiden die ersten vorsichtigen Schritte: Nämlich der Verzicht auf Strafverfolgung wegen Geringfügigkeit der Tat. Wählen wir den wesentlichen Standpunkt des Beweises, erteilt Art. 111 der italienischen Verfassung dem Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens bei der Beweisaufnahme eine allgemeine erkenntnistheoretische Schutzfunktion und der Einwilligung des Angeklagten die Funktion, entsprechende Ausnahmen zu rechtfertigen. Beim Versuch, die ursprüngliche Neigung der Strafprozessordnung für die dialektische Gegenüberstellung von Anklage und Verteidigung wiederherzustellen und zu verstärken, bemüht sich die Vorschrift zugleich, die Rechtmäßigkeit von zur Hauptverhandlung alternativen Verfahrensarten nicht auszuschließen. Die Aufmerksamkeit der italienischen Gesetzgeber hat sich auf die besonderen Verfahrensarten mit belohnendem Charakter konzentriert, bei denen das Einverständnis des Angeklagten einen mehr oder weniger umfassenden Beweisverzicht mit seinen zahlreichen Aspekten zur Folge hat, der von der Rechtsordnung mit Strafnachlass belohnt wird. Wegen der Grundsätzen der Unschuldvermutung und der unantastbarkeit der persönlichen Freiheit, dürfte aber für die Verurteilung der Prozeß und mit ihm die Formen, in denen Beweise erhoben, unabdingbar bleiben. Um nicht der feierlichen Grundsatzerklärung zugunsten der Hauptverhandlung jeglichen Sinn abzusprechen, sollte außerdem das Einverständnis mit der Würdigung von Beweisen, die außerhalb der Hauptverhandlung erhoben wurden, auf jeden Fall von der Partei vorliegen, die ein Interesse daran hat, deren Inhalt zu widerlegen, damit belegt werden kann, daß eine weitere Überprüfung durch die effizientere dialektische Methode das Ergebnis nicht grundsätzlich ändern würde. Die wichtigsten von der Strafprozessordnung geregelten konsensualen Verfahrensarten sind: 1) Strafzumessung auf Antrag der Parteien (das sogenannte „patteggiamento“) und 2) das abgekürzte Verfahren (giudizio abbreviato). 1) Mit dem „patteggiamento“ unterbreiten Staatsanwaltschaft und Angeklagter dem Gericht eine Vereinbarung über das konkrete Strafmaß (bei Freiheitsstrafen nur bis zu zwei Jahren). Sie basiert auf einer Berechnung, die eine Strafminderung von bis zu einem Drittel enthält und stellt damit einen echten Urteilsvorschlag dar. Die Wahl dieses Verfahrens bringt nicht nur einen Verzicht auf das Recht auf eine Beweisaufnahme durch die am besten garantierte und wirksame Form der kontradiktorischen Hauptverhandlung mit sich, sondern stellt sogar Tatsachen und Rechte in Frage, die Gegenstand der Anklage sind. Der italienischen Verfassungsgerichtshof entschied nämlich, daß der Richter seine Überzeugung aufgrund der Ermittlungsakten aus der Zeit vor der Vereinbarung bildet und die Entscheidung auch hinsichtlich der strafrechtlichen Verantwortung des Angeklagten begründet, anstatt den zum Ausdruck gebrachten Willen der Parteien einfach zur Kenntnis zu nehmen. 2) Die wiederholten Mahnungen des Verfassungsgerichtshofs führten im Jahre 1999 zu einer Reform des abgekürzten Verfahren, die zum einen die Gestalt des Urteils "nach Lage der Akten" veränderte und zum andern die zuvor erforderliche Zustimmung der Staatsanwaltschaft beseitigte. Die Wahl des Verfahrens wird daher zu einem regelrechten Recht des Angeklagten, ohne daß irgendeine Einflußmöglichkeit der Staatsanwaltschaft oder dem Richter, der die Fälle auswählt, die tatsächlich für einen vorzeitigen Abschluss und, insbesondere für den sich daraus ergebenen Strafnachlass (von einem Drittel) bei Verurteilung geeignet sind, übertragen wäre. Deshalb gibt es die Sicherheit einer Strafminderung, die um so größer ist, je höher die abstrakte Strafe ausfällt, da sie, als Gegenleistung für die Einwilligung darin, überwiegend anhand der Ermittlungsergebnisse beurteilt zu werden, proportional um ein Drittel gemindert wird, mit der Möglichkeit sich das keiner Einschränkung unterworfene Beweismaterial von Amts wegen, zunutze zu machen. Dank der neuen Gesetzgebung über den Friedensrichter, der außerhalb der Strafprozeßordnung plaziert ist, erprobt das italienische Strafrechtssystem einige Formen des vorzeitigen Verfahrensabschlusses, die die Rolle des Verbrechensopfers aufwerten. Diese Vorschriften versuchen, den anderen Weg der Versöhnung zwischen Täter und Tatopfer einzuschlagen, nämlich der Beilegung des Konfliktes bei leichteren Straftaten, die meist Ausdruck der Beziehungen zwischen Einzelpersonen sind. Auf diesem Gebiet findet man die folgende grundlegende Institute: 1) Ausschluss der strafrechtlichen Verfolgbarkeit bei besonders geringfügigen Taten; 2) Erlöschen der Straftat wegen Wiedergutmachung und 3) Die Mediation. 1) Voraussetzungen für die Nichtverfolgbarkeit ist eine Tat, die, obwohl sie den Straftatbestand verwirklicht, und konkret beeinträchtigend ist, dennoch unter dem Gesichtspunkt des von ihr verursachten Schadens oder der hervorgerufenen Gefahr, der Zufälligkeit des Verhaltens und dem Maß der Schuld des Täters ein geringes Niveau aufweist. Dem Richter obliegt ferner die außerhalb der Tat liegende Beurteilung des Schadens, den eine Weiterführung des Verfahrens im Bereich der Arbeit, der Schule, der Familie oder der Gesundheit des Angeklagten verursachen könnte. 2) Die Wiedergutmachung des durch die Straftat verursachten Schaden (was nach dem in der italienischen Strafprozeßordnung geregelten Verfahren lediglich zu einer Strafminderung führt) ist ein neuer Grund für ein Erlöschen der Straftat. Das freisprechende Urteil ist davon abhängig, ob der Richter die Wiedergutmachung als geeignet dafür ansieht, die erforderliche Missbilligung der Tat und die Prävention zu erfüllen. 3) Die Aufmerksamkeit, welche die gesamte Novelle der Lage des Tatopfers beimißt, zeigt sich am deutlichsten bei der Mediation, die jedoch ausschließlich bei Straftaten Anwendung findet, die auf Antrag verfolgt werden. Der Vermittlungsversuch ist obligatorisch und wird dem Friedensrichter überlassen, der sich nach seinem Ermessen der Hilfe öffentlicher oder privater lokaler Fachzentren. bedienen kann. Im Falle eines positiven Ausgangs nimmt der Verletzte den Strafantrag zurück.
2005
3428117603
Strafprozess; verfassungsrechtiche Grundsaetze; konsensuale verfahren
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